EU Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte in ihrer Rede zur Lage der Union 2020 ein neues europäisches Bauhaus vor. Dieses soll einen Raum des gemeinsamen Gestaltens und der Kreativität zur Lösung globaler Probleme wie dem Klimawandel bieten. Eine hervorragende Idee!
Was bewirkte das vor 100 Jahren gegründete Bauhaus?
Der Mitbegründer moderner Architektur Walter Gropius gründete 1919 das Staatliche Bauhaus in Form einer Kunstschule.
Ziel war die Wiederbelebung des Kunsthandwerks, die Verbindung der Architektur mit den anderen Künsten zum Gesamt(kunst)werk. Aus diesen Anfangsideen entwickelte sich ein bis heute prägendes Industrie- und Grafikdesign. Modulares Bauen setzte sich bei Industrieanlagen und bei der Bereitstellung günstigen Wohnraumes durch. Plattenbauten und Massenfertigung linderten zwar den dringenden Bedarf auf Wohnraum, ließen aber Ästhetik und die Erfüllung der Bedürfnisse der Bewohner vermissen. Sie gelten als Negativbeispiele für die Umsetzung modularen Bauens.
Die Gründer des Bauhauses sahen das Bauhaus als gleichberechtigte Arbeitsgemeinschaft von Handwerkern und Künstlern.
Emigrierte jüdische Bauhausarchitekten entwarfen und bauten in Tel Aviv mehr als 4.000 Gebäude – die heute weltweit größte Ansammlung von Gebäuden im Bauhaus-Stil. Das Bauhaus war Ideenfabrik und Experimentierfeld freier und angewandter Kunst, Gestaltung, Architektur und Pädagogik. In sogenannten Vorkursen erlernten Studierende den Umgang mit Materialien und Gestaltungsmöglichkeiten.
So großartige Künstler wie Wassily Kandinsky und Paul Klee vermittelten ihr Wissen über Gestaltungslehre.
Einrichtungen des staatlichen Bauhauses
Es gab Werkstätten für Bühne, Glasmalerei, Plastik, Wandmalerei, Druck und Reklame, graphische Druckerei, Keramik, Metall, Tischlerei und Weberei.
Der Unterricht umfasste Baulehre – Architektur verpflichtet sich zur „Gestaltung von Lebensvorgängen“. Mit wissenschaftlichen Methoden wurden die Lebensgewohnheiten künftiger Bewohner einer Siedlung untersucht. Biologische und klimatische Standortuntersuchungen bezog man in den Entwurfsprozess ein.
Andere Bereiche des Studiums: „Der Mensch“ vom Künstler Oskar Schlemmer, Elementarunterricht bezüglich Farben und Formen durch Kandinsky und Klee, Harmonisierungslehre und Bildende Kunst.
Das Bauhaus existierte nur 14 Jahre, sein Einfluss auf modernes Bauen hält aber bis heute an.
Was soll dieses neue europäische Bauhaus sein?
Das neue europäische Bauhaus soll den europäischen Grünen Deal vorantreiben. Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen und ökologischer Wandel soll seh-, fühl- und erfahrbar werden.
Vereinte Bemühungen von Künstlern, Architekten, Wissenschaftlern, Ingenieuren und Designern sollen unter einem gemeinsamen Dach Lösungen und Antworten auf die globalen Herausforderungen, Klimawandel, Digitalisierung und Bevölkerungswachstum, finden und entwickeln.
Das europäische Bauhaus soll Diskussionsforum, Raum für Kunst und Kultur, Versuchslabor, Motor, Drehscheibe für globale Netze, Sachverständige und Anlaufstelle für interessierte Bürgerinnen und Bürger sein.
Ab 2021 werden in Europa fünf Bauhaus-Projekte gestartet. Schwerpunkte sind Nachhaltigkeit, Kunst und Kultur mit dem Fokus auf:
- Natürlichen Baustoffen und Energieeffizienz
- Demografie
- Grünen, digitalen Innovationen.
2023 folgen in einer zweiten Welle Bauhaus-Projekte in Europa und anderen Teilen der Welt. Errichtet werden sollen:
- Eine Plattform, die Raum für Kreativität bietet
- Bauhaus-Wissensdrehkreuz
- Entwicklung von Technologien und Werkstoffen
- Nutzung von Big Data und künstlicher Intelligenz
- Kontaktstellen/orte zwischen Interessensträgern, Bürgerinnen und Bürgern.
Was ist der Europäische Green Deal?
In der bemerkenswerten und motivierenden Rede der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem EU-Parlament am 16. September 2020 sprach sie vom Vertrauen in die Europäische Union und bezeichnete mit NextGenerationEU den Weg in ein besseres Leben für die Welt von morgen.
Die soziale Marktwirtschaft sei eine wichtige Voraussetzung zur Bewältigung der aktuellen Corona-Pandemie. Ein wichtiges Ziel sei daher eine starke europäische Gesundheitsunion. Für die Bewältigung künftiger, grenzübergreifender Gesundheitskrisen wurde eine europäische Agentur für fortgeschrittene, biomedizinische Forschung und Entwicklung (BARDA) vorgeschlagen.
Die Kommission schlägt zudem einen Gesetzesvorschlag für einen Rechtrahmen für Mindestlöhne vor.
Der European Green Deal ist die Antwort der EU im Kampf um die Gesundheit des gefährdeten Planeten.
2050 will die EU erster klimaneutraler Kontinent der Welt sein. Die Europäische Kommission schlägt die Reduktion der Treibhausgase bis 2030 um mindestens 55% (derzeit 40%) vor.
Mittelvergabe der EU
37% der Mittel von NextGenerationEU sollen unmittelbar für die Ziele des Grünen Deals ausgegeben werden. Grüne Finanzierung soll gefördert werden. Ein zuverlässiger EU-Standard für grüne Anleihen wird entwickelt.
30% der 750 Milliarden Euro für NextGenerationEU sollen durch grüne Anleihen beschafft werden.
Als Leuchtturmprojekte gelten Wasserstofftechnologie, Renovierung von Häusern und Gebäuden sowie die Errichtung einer Million Ladestationen für Elektrofahrzeuge.
NextGenerationEU soll neue Europäische Wasserstofftäler entstehen lassen. Mit Wasserstofftechnologie wird die Industrie modernisiert, Kraftstoffe für Fahrzeuge produziert und neues Leben in ländliche Gebiete gebracht.
40% der Treibhausgasemissionen erzeugen (schlecht isolierte) Gebäude. Eine europäische Renovierungswelle soll die Emissionen senken und die Union soll ein Spitzenreiter in Kreislaufwirtschaft werden.
NextGenerationEU ist nicht nur ein Umwelt- und Wirtschaftsprojekt, sondern ein neues Kulturprojekt. Eine Bewegung soll ausgelöst werden und dem Systemwandel ein Gesicht verleihen – ein Gesicht, welches Nachhaltigkeit mit Ästhetik verbindet.
Ein neues europäisches Bauhaus steht für die Welt von morgen.
Schwerpunkt der EU
Einen weiteren Schwerpunkt bilden Industriedaten und digitale Technologie – insbesondere Künstliche Intelligenz. Europa will ein Regelwerk für den Gebrauch von Daten schaffen, bei dem die Menschen im Mittelpunkt stehen.
Der Ausbau von Breitbandverbindungen bringt schnelles Internet in ländliche Gebiete.
Acht Milliarden Euro investiert die EU in die nächste Generation von Supercomputern.
Überdies arbeitet die EU an einem Carbon Border Adjustment Mechanism (Anpassungsmechanismus für Kohlenstoffgrenzen). Ausländische Hersteller und EU-Importeure werden ermutigt und angehalten ihren CO2-Ausstoß zu verringern – für CO2-Ausstoß muss adäquat bezahlt werden.
Für einige Länder – wie Österreich, Ungarn und Polen – überbrachte die EU-Kommissionspräsidentin auch schlechte Nachrichten: Geld aus dem EU-Haushalt und aus NextGenerationEU wird vor jeder Art von Betrug, Korruption und Interessenskonflikten geschützt werden. Das sei nicht verhandelbar. Gut so!
Ein wichtiges Statement folgte am Ende ihrer Ansprache: Die Kommission wird eine Koordinatorin für die Bekämpfung von Rassismus ernennen. So genannte „LGBTQI-freie Zonen”(LGBTQI lesbian, gay, bisexual, transgender, queer, intersex), sind Zonen mit fehlendem Respekt gegenüber Mitmenschen. Dafür gäbe es in der EU keinen Platz.
Jeder hier hat im Sinn, dass genau jetzt einer dieser Momente ist, an dem wir die Zukunft beeinflussen können.
Steve Jobs
Ein neues Europäisches Bauhaus – Chance auf Realisierung?
Von der Leyen trug im europäischen Parlament Initiativen der europäischen Kommission vor. Es liegt am Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union diese Initiativen zu prüfen und in Gesetze zu gießen.
Ein neues europäisches Bauhaus – was für eine großartige Idee!
Eine Bewegung, die eine breite Bevölkerungsschicht erfasst, mit neuen Baustoffen und Innovationen, neuen Ideen, einer neuen auf die Natur und den Menschen ausgerichteten Ästhetik, verbunden mit Nützlichkeit und Nachhaltigkeit. Ein partizipativer Ansatz, der sich am Menschen orientiert. Nichts weniger als einen überfälligen Wertewandel regt die ehemalige CDU-Politikerin Ursula von der Leyen an.
In der besten aller Welten würden sich diese Überlebensträume vom europäischen Bauhaus erfüllen.
Aber wir leben in einer realen Europawelt, geprägt von vornehmlich bürgerlichen konservativen Regierungen, verdunkelt von einigen nationalistisch und antidemokratisch handelnden Yuppies und Autokraten.
Auf der anderen Seite das europäische Bauhaus, das eine Ansammlung kreativer Geister werden soll. Ein Ort, der die Besten und Begabtesten anziehen soll und wird. Ein gedeihliches Umfeld das Künstler und kreative Techniker des Formats eines Kandinskys, Klees, Siemens oder Eiffel versammelt.
Widerpart dieser kreativen, gestaltenden Idee ist eine europäische, kontrollierende Verwaltung, die Fördergelder zuerkennt – Formulare, Formulare, Formulare – begleitet von einer Politikerriege, deren Aufgeschlossenheit gegenüber einer avantgardistischen Ideenexplosion zumindest bezweifelt werden kann.
Das Bauhaus vor 100 Jahren bestand nicht grundlos nur 14 Jahre. Sowohl politische Rahmenbedingungen als auch Ausbleiben unterstützender Gelder löschten die hoch auflodernde kreative Flamme.
Aktionen des europäischen Rates und des Parlaments – Anlass zur Zuversicht?
Wie realistisch scheint die Vorstellung eines europäischen Bauhauses als Ort ungezügelter Kreativität, wenn zeitgleich der amerikanischen Fondsgesellschaft Blackrock ein Beratungsauftrag für grüne Investments gegeben wird?
Ausgerechnet Blackrock, der mächtigsten auf Gewinnmaximierung ausgerichteten, Politik und Wirtschaft beeinflussenden, amerikanischen Investmentgesellschaft soll Kriterien für eine „grüne“ Anleihe schaffen?
Wie nahe liegt der Gedanke eines erfolgreichen europäischen Bauhauses, wenn die gerade veröffentlichte europäische Agrarpolitik weiter auf die Erhaltung des Status quo setzt?
Nach wie vor werden nicht agile Biobauern unterstützt, sondern jene Großbauern, die umweltschädigende Monokulturen betreiben. Die Politik der weiter fortgesetzten Flächenprämien führt dazu, dass nur 1,8% der Betriebe 32% der Mittel erhalten.
Diese Agrarpolitik bietet keine Anreize für Landwirtinnen Artenvielfalt, Klima-, Natur- und Umwelt schonenden nachhaltigen Bioanbau zu betreiben.
Diese leistet nur dem Einsatz von Dünger und Pestiziden zur maximalen ungesunden Ausnutzung der Böden Vorschub.
Für Agrarsubventionen gibt die EU 60 Milliarden Euro/ Jahr aus.
2017 investierte Europa 244 Milliarden als Subventionen in fossile Brennstoffe.
2018 betrug das Forschungsbudget der EU 94 Milliarden. Ab 2021 sind nur mehr 81 Milliarden vorgesehen – 14% weniger.
Für den Green Deal sind 100 Milliarden Euro pro Jahr ab 2021 vorgesehen.
244 Milliarden für fossile Brennstoffe gegen 100 Milliarden für eine der größten aktuellen Bedrohungen – den Klimawandel! Es sind die Relationen die die Bedeutung widerspiegeln.
Das ist es was der Rat der Europäischen Kommission und das Europäische Parlament beschliessen. Thema Klimakrise verfehlt, leider!
Das Furchtbare daran ist, dass das Leben von Millionen europäischer Bürger betroffen ist, und zur Veränderung Bereite abstraft, demotiviert. Empörend ist der Mangel an kreativen Lösungen, der Mangel an Unterstützung nachhaltiger, landwirtschaftlicher Betriebe.
Partizipation ist eine Erfolgsformel für das neue europäische Bauhaus
Warum werden bei diesen Entscheidungen nicht NGO-Organisationen, wie Greenpeace, WWF, Global2000, Fridays for Future, Friends of the Earth und betroffene Menschen, „grün denkende“ Mitbürger eingebunden? Sollen sie das neue europäische Bauhaus nicht mitbewohnen?
Warum findet sich in der Ansprache der EU-Kommissionspräsidentin kein dezidierter Hinweis eines baldigen Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen? Vielleicht weil die Kohlekraftwerke in Deutschland bis 2035 am Laufen bleiben sollen und man bis dahin die Kohleflöze auch gegen den Widerstand von Anrainern weiter ausbeuten will?
Warum werden eine Million Autoladestationen gebaut, wo doch auch Elektromobile mit hohen Treibhausgasemissionen durch die Produktion einhergehen?
Weil die deutsche Automobilindustrie geschützt werden soll?
Weil es eine starke ums Überleben kämpfende fossile Industrie mit starken Lobbyisten gibt?
Es ist zu befürchten, dass die wunderbare Idee eines impulsgebenden europäischen Bauhauses zu einer profanen Förderung mächtiger, die Förderungsmechanismen verstehender und nutzender Großindustrien, verkommt. Die alt bewährten, bestens vernetzten und die Menschheit erst an den Rand der Klimakatastrophe gebrachten Industrieunternehmen und angepasste Verwalter von Kunstuniversitäten werden wieder einmal die Nutznießer sein und nicht Mensch und Natur.
Schon der Pressenachricht zum europäischen Bauhaus entnimmt man die Rolle, die für die Bevölkerung vorgesehen ist: „Anlaufstelle für interessierte Bürgerinnen und Bürger“.
Nein, ein europäisches Bauhaus – wie es im Factsheet der EU heißt – „bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht“ – sieht anders aus. Der Mensch im Mittelpunkt heißt oberste Priorität der Einbindung der Menschen, heißt Mitbestimmung, heißt Partizipation.
Die Beispiele erfolgreicher „grüner“ Projekte, die eine lebenswerte nachhaltige Umwelt und Lebensweise schufen, beweisen, dass die intensive Einbindung der Betroffenen der Schlüssel zum Erfolg ist. Nur das partizipative Prinzip führte zu einem Wertewandel und einem Umdenken der Betroffenen.
Wie schon Frau von der Leyen im Schluss Plädoyer ihrer Rede sagte: „Es liegt an uns, was wir aus unserer Zukunft machen. Es liegt an uns, welches Europa wir wollen … „