Drah di net um – der PKW geht um

Stau in der Großstadt Berlin

Stau in der Großstadt

Treten Sie bitte gedanklich einen Schritt zurück. Denken Sie sich selbst die Autolenker weg, auch das eigene Auto. Vergessen sie Ihre Fähigkeiten, vielleicht auf ihre Freude, zu fahren und zu lenken. Geschafft? Gut. Danke.

Dann imaginieren Sie eine fremde Macht, die ihre Anwesenheit und Einflusssphäre durch das Erscheinungsbild der Autos demonstriert. An jeder Ecke, jedem Platz – all überall und unentwegt, des Nachts und Tags. Verkehr an- und abschwellend. Lärm an- und abschwellend. Gestank und Abgase an- und abschwellend.

Immerfort erinnern Autos die Stadtbewohner und Besucher der Stadt an die Besatzung. Die Straßen links und rechts zugeparkt, die Fußgängerstreifen schmal und beengt, einander begegnende Passanten machen sich gegenseitig Platz, Radfahrwege mäandern auf wenigen frei gebliebenen Streifen.

Lärm, lungengängiger Staub, Gestank und Abgase

Die Fahrzeuge erzeugen unsäglichen Lärm, reizen das empfindliche Gehör der Einheimischen. Sie rümpfen ihre sensitiven Nasen ob des unerträglichen Gestanks. Die Abgase erhöhen Krankheiten und Sterblichkeit. Zwischen Wohnhäusern weiten sich Straßen zu mehreren Fahrspuren –auf den breiten Betonstreifen rasen Fahrzeuge um die Wette.

Mütter fürchten um ihre Kinder. Straßenüberquerungen sind selbst für Erwachsene gefährlich. Rücksicht wird nicht genommen. Alte Menschen verzichten auf Straßenquerungen und gewöhnte Wege.

Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.

Erich Fried

Was ist der Nutzen des Verkehrs?

Was ist der Nutzen der Fahrzeuge und des steten Verkehrs? Sinn und Zweck der ankommenden und wegfahrenden Autos waren ohne ersichtliche Ordnung oder Sinnhaftigkeit. Ging es nur um Maßregelung, Zwangsausübung, um Machtdemonstration? Niemand wusste es, ein Nutzen war nicht ersichtlich. Die größte Zeit parkten die Autos – nahmen den Stadtbewohnern Platz zum Promenieren, Atmen, Spielen, Sich-Unterhalten oder Langweilen. Die Älteren erinnerten sich noch an eine Zeit der Ruhe, erzählten von freien Plätzen und Wegen, von Stille auch und Wohlgerüchen, von Grünflächen, Bauminseln, Teichen und Bächen, sie schilderten den Flug der Schmetterlinge, krabbelnde Käfer und zwitschernde Vögel.

Autos, Autos, Autos

Der Aufstand gegen den Verkehr

Der Unmut der Bevölkerung wuchs über die belastenden Umstände. Es gab einen Aufstand. Es wurde demonstriert, Lackflächen der Autos wurden zerkratzt, mit Parolen verunstaltet. Einige Fahrzeuge wurden in Brand gesetzt, bei anderen die Reifen zerstochen, Spiegel abgerissen, Windschutzscheiben und Seitenscheiben eingeschlagen. Jugendliche machten sich den Spaß mit dem Fahrrad an parkende Autos heranzufahren und der Autotür mit dem Fuß im Vorbeifahren einen kräftigen Tritt zu verpassen.

Die Reaktion der Fahrer

Als Reaktion verhängte die fremde Macht Ausgangssperren, untersagte das Radfahren, eliminierte Radfahrwege, errichtete um parkende Autos und Verkehrsstraßen Schutzzäune. Die Schutzzäune trennten nunmehr Wohnviertel voneinander. Alte Bekannt-, Freund- und Liebschaften zerbrachen, konnten nicht weiter gepflegt werden. Nur der Gang und die Benutzung zur Verfügung gestellter Verkehrsmittel von und zur Arbeitsstätte, von und zu Geschäften zur Beschaffung lebensnotwendiger Waren war gestattet.

Die Restriktionen führten wegen mangelnder Bewegung der Einwohner zu Fettleibigkeit, infolge der mangelnden Kontakte zu Depressionen, wegen der Depressionen stieg die Zahl der Selbstmorde und durch die Fettleibigkeit die Zahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle. Die Kreislaufkrankheiten wurden durch die schwelende ohnmächtige Wut auf die Besatzungsmacht zusätzlich verstärkt.

Es kam zur Stadtflucht.

Heute sind die Städte unbewohnt – nur die Autos der fremden Macht fahren und parken noch – noch immer ohne erkenntliches Ziel und Absicht.

Die Realität

Lehnen Sie sich zurück. Der Schrecken ist vorüber – das war nur ein Alptraum. Die Geschichte ist nicht real. Ihr Auto, das Ihrer Frau und die Ihrer Kinder parken neben den anderen vor dem Haus und warten darauf gestartet zu werden.

14% der globalen CO2-Emissionen werden durch den Verkehr verursacht. Auf den PKW entfallen 6,5% das entspricht 3,6 Gigatonnen CO2 – oder 3.600.000.000.000 kg CO2.

Quelle: Heinrich Böll Stiftung: Mobilitätsatlas 2019 – Daten und Fakten für die Mobilitätswende 2019; Bartz/Stockmayr (M), CC BY 4.0
Die Balken zeigen die CO2-emissionen verschiedener Fahrzeugantriebe

Die Emissionsmenge für 150.000 gefahrene Kilometer ergibt für einen Benziner 34 Tonnen , für einen Diesel 31 Tonnen und für ein Elektroauto 26 Tonnen CO2. Die Emissionen beim Elektroauto entstehen bei der Produktion (vor allem der Batterien) und der bereitgestellten elektrischen Leistung die noch nicht vollständig auf erneuerbaren Stromerzeugern beruht. Empfehlenswert zum Lesen und Schauen: der Mobilitätsatlas.

Europaweit sterben jährlich 11.500 Menschen vorzeitig an den Folgen der Emissionen von Diesel-PKWs und -LKWs.

Quelle: Heinrich Böll Stiftung: Mobilitätsatlas 2019 – Daten und Fakten für die Mobilitätswende 2019; Bartz/Stockmayr, CC BY 4.0
Quelle: Lärmkarte.at
©Autor

Die Karte zeigt die Lärmbelastung auf Wiens Straßen. Dunkles Lila entspricht Lärm der größer als 75 dB ist. Die Höhe der gemessenen Werte über 75 dB sind in der Darstellung der Lärminfo nicht angegeben.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO Empfehlungen) empfiehlt für die durchschnittliche Lärmbelastung durch Straßenverkehr am Tag 53 dB und des Nachts 45 dB.

Der Autor wohnt in Wien, deshalb wählte er besipielhaft die Angaben für seine geliebte Stadt.

Wien hat eine Wohnbaufläche von 25,4% und eine Verkehrsfläche von 14,4% der Gesamtfläche (415 km2). 708.000 PKW sind in Wien gemeldet, Wien hat 1,9 Millionen Einwohner. Die Weltstadt verfügt über ein außerordentlich gutes öffentliches Verkehrsnetz: Die U-Bahnen befördern 450 Millionen, die Straßenbahnen 300 Millionen und die Busse 200 Millionen Passagiere im Jahr.

Realisierbare Utopien

Aber es gibt sie auch, die Utopisten, die Weltverbesserer, die Querdenker und Verrückten, die sich einen Perspektivenwechsel vorstellen können.

Quelle: Martin AARts: Stadtraum 2030 – Raum für Menschen statt für Autos, 2020

Sehens- und lesenswert die Studie des Architekten Martin Aarts für Pankow einen Stadtteil Berlins.

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